Tabernakel und Altar

„Die Modernisten behaupten immer, der Tabernakel wurde erst in den Barockkirchen auf den Hochaltar gestellt. Dann stellt sich die Frage, wo das Allerheiligste in den romanischen und gotischen Kirchen aufbewahrt wurde. Hinter dem Gerede der Modernisten steckt die Absicht zu beweisen, dass der ‚Hostienkult‘ eine Erfindung des Konzils von Trient gewesen ist, um sich von den Protestanten abzugrenzen.“
Die ganz spezifische Verehrung des Allerheiligsten Sakramentes des Altares, welches eben außerhalb der hl. Messe im Tabernakel aufbewahrt wird, kam erst im Mittelalter auf. Vorher hat man auch bei uns, im Römischen Messritus, das Augenmerk bei der Verehrung des Allerheiligsten mehr auf die konsekrierten Opfergaben während der liturgischen Handlung gerichtet. Auf der einen Seite hat man fest und unerschütterlich an die wirkliche Gegenwart Jesu Christi unter den konsekrierten Gestalten von Brot und Wein geglaubt und kam auf der anderen Seite nie auf den für einen Katholiken abwegigen Gedanken, diesen Glauben irgendwie in Frage zu stellen oder zu relativieren.
Man betrachte da nur den tiefen Reichtum der Aussagen der einzelnen liturgischen Zeremonien des überlieferten Römischen Messritus im Hinblick auf die Realpräsenz Jesu in der hl. Hostie oder im Kelch und erkenne, wie unerschütterlich fest die katholische Kirche daran geglaubt hat. Dazu gibt es auch entsprechende Zeugnisse aus den Schriften der hl. Kirchenväter, die diesen Glauben einhellig bezeugen.
Im 13. Jahrhundert wurde dann von Papst Urban IV. das Fest Fronleichnam aufgrund der Offenbarungen, welche die fromme Ordensfrau hl. Juliana von Lüttich erhalten hatte, eingeführt. Diese Entwicklung verstärkte noch weiter den Glauben der Kirche an die Realpräsenz Jesu Christi in der hl. Hostie, da man als Katholik nun verstärkt auch noch auf diesen sog. eucharistischen Teil des göttlichen Geheimnisses der hl. Messe aufmerksam gemacht wurde.
In ähnlicher Weise wie vorher im Römischen Ritus wird auch heute noch in den östlichen bzw. orientalischen überlieferten Messriten, ob es sich dabei um den Byzantinischen, Armenischen, Koptischen o.a. Messritus handelt, das Altarsakrament vorwiegend während des Vollzuges des hl. Opfers verehrt. Wenn man beachtet, dass man da nicht zur hl. Kommunion gehen darf, ohne zuvor (an demselben oder wenigstens am vorherigen Tag) unbedingt gebeichtet zu haben, sieht man, wie ernst und ehrfurchtsvoll man da mit dem Allerheiligsten umgeht – man will mit allem Nachdruck sowohl einer leichtsinnigen Gesinnung im Umgang mit dem Allerheiligsten als auch einem eventuell unwürdigen Kommunionempfang vorbeugen!
Ferner ist es ergreifend, wie in diesen Messriten ebenfalls durch manche liturgische Zeremonien der Glaube der Kirche an die Realpräsenz Jesu kundgetan bzw. unterstrichen wird. So wird teilweise z.B. von den Priestern oder Diakonen ein spezielles liturgisches Tuch über den Opfergaben auf und ab geschwenkt, um die Herabkunft des Heiligen Geistes über diese Opfergaben anzuzeigen. Oder diese werden mit mehreren kostbaren Kelchvela bedeckt oder sogar in solche eingewickelt, wodurch ebenfalls der übernatürlich-mystische Charakter der Messfeier und der Gegenwart Jesu im Altarsakrament unterstrichen wird.
Also steht fest, dass die Verehrung des Allerheiligsten Sakramentes des Altares innerhalb der katholischen Kirche in ihren sämtlichen apostolischen Messriten bekannt war und praktisch tagtäglich mit höchster Andacht praktiziert wurde – ob nun innerhalb oder außerhalb der Feier des hl. Messopfers selbst. Wobei uns erst die betrachtende Vertiefung in die betreffenden liturgischen Zeremonien diesen ganzen Glaubensreichtum erschließen wird.
Daher löst sich die eingangs erwähnte Behauptung, erst das Konzil von Trient habe einen sog. „Hostienkult“ erfunden, restlos in Luft auf!
Aber wo genau wurde das Allerheiligste innerhalb des Altarraumes aufbewahrt? Denn die Modernisten geben ja an, ihre neu eingeführte Praxis, den Tabernakel vom Altar selbst zu trennen und irgendwo an der Seite des Altarraumes zu positionieren, würde dem ursprünglichen Brauch der Kirche entsprechen.
Nun, im Mittelalter hat man das Allerheiligste oft in einer sog. eucharistischen Taube oder im Sakramentshäuschen aufbewahrt. Diese eucharistische Taube war ein „Hängetabernakel aus Metall über dem Altar in Gestalt einer Taube mit einer verschließbaren Mulde am Rücken zur Aufnahme weniger Hostien“ (LThK, Herder 1964, 9. Band, Sp. 1307). Von diesen Hostien nahm man, wenn man einen Versehgang machen musste. Eine sonstige Kommunionausteilung außerhalb der hl. Messe war nicht bekannt oder wenigstens nicht üblich.
Diese eucharistische Taube wird schon im 7. Jahrhundert erwähnt. Dann war sie hauptsächlich in Frankreich, jedoch auch im westlichen Deutschland verbreitet. Noch kurz vor Ende des 16. Jahrhunderts wird sie in England unter Maria der Katholischen angeraten. In jedem Fall sieht man hier die lokale Verbindung zwischen dem Tabernakel und dem Altar - beide bildeten eine Einheit -, und zwar sehr lange vor dem Konzil von Trient! Allein dieses Zeugnis der Liturgie- und Kirchengeschichte belegt die Falschheit der Praxis und Forderung der Modernisten, den Altar und den Tabernakel örtlich voneinander zu trennen.
Sakramentshäuschen stellen in der Regel einen künstlerisch oft sehr anspruchsvollen Aufbau in der Form eines Häuschens dar, der zwar vorne im Altarraum platziert wurde, aber eben separat vom Altar selbst, auf welchem ja die hl. Messe gefeiert wurde. Insofern ist es historisch gesehen richtig, dass in diesen Fällen der Tabernakel und der Altar nicht eine lokale Einheit bildeten. (Ein solches Sakramentshäuschen hat z.B. im Ulmer Münster die Wirren der Protestantisierung überstanden.)
Nun sind aber solche Sakramentshäuschen erst im Mittelalter aufgekommen, als eben im Westen sowohl der betonte Blick auf die eucharistische Gegenwart Jesu in den konsekrierten Gestalten von Brot und Wein als auch die Verehrung des Allerheiligsten als außerhalb der hl. Messe aufbewahrt auf die oben beschriebene Weise zugenommen hat. Und um eben diesem nun zusätzlich verinnerlichten Glauben an die Realpräsenz Christi im Altarsakrament einen besonderen Ausdruck zu verleihen, hat man ja auch solche besonderen und reich ausgeschmückten Sakramentshäuschen errichtet! Gerade diese künstlerisch reiche Ausschmückung drückte die Tiefe des kirchlichen Glaubens ans Altarsakrament aus!
So fand man für sie (wegen deren Größe) oft nur an der Seitenwand des Altarraumes bzw. beim Eingang ins Presbyterium Platz. Zudem grassierte ja damals noch nicht die protestantische Häresie und somit bestand auch noch keine Gefahr der falschen Interpretation dieses separaten Aufbaus. Der Glaube der Kirche an die Realpräsenz Jesu im Altarsakrament wurde dadurch in keinster Weise in Frage gestellt – die Opferhandlung der hl. Messe und das Allerheiligste Sakrament des Altares bildeten theologisch-inhaltlich weiterhin eine Einheit!
Dann kam der Protestantismus, der alles in Frage gestellt und sowohl das hl. Messopfer als auch die Realpräsenz Christi in der hl. Kommunion unter Verwendung gröbster bzw. unflätigster Bezeichnungen (so z.B. Luther) geleugnet hatte. Somit sah die Römisch-Katholische Kirche in der Folge die Notwendigkeit, den von Anfang an überlieferten Glauben der Kirche an das hl. Messopfer auf der einen und an die eucharistische Realpräsenz Jesu auf der anderen Seite zu verteidigen und zu betonen. Dies ist ein ganz logischer, legitimer und sogar notwendiger Prozess, sofern einem natürlich am betreffenden Glauben viel liegt bzw. er einem teuer ist.
So hat es dann die Kirche auch für geboten gehalten, u.a. auch den theologisch-inhaltlichen Zusammenhang zwischen der liturgischen Opferhandlung und dem darin gewirkten Sakrament zu unterstreichen. Diesem edlen Zweck wollte man dann auch auf die Weise dienen, dass man - in ausdrücklicher Abwehr des betreffenden protestantischen Unglaubens - den Tabernakel als den Ort der Aufbewahrung des Allerheiligsten und den Altar als die Stätte des Messopfers wieder unmissverständlich miteinander verbinden wollte! So schrieb dann Papst Paul IV. im Jahre 1614 den uns bekannten Altartabernakel vor. Und noch Papst Pius XII. unterstrich mit seinem Tabernakeldekret vom 01.06.1957 (AAS 49 [1957] 425f), dass sich der Tabernakel auf dem Hauptaltar einer Kirche befinden und auf diesem unbeweglich befestigt werden muss.
Worin besteht in diesem Zusammenhang das eigentliche Problem der Modernisten? Dieses ist in erster Linie wohl nicht im rein äußeren Umstand auszumachen, dass sie ihre Tabernakel wieder örtlich vom Altar entfernen und irgendwo an der Seite aufstellen. Es geht hier v.a. um die mit diesem Schritt verbundene Intention bzw. um die Ziele, die damit offensichtlich erreicht werden sollen! Dabei ist auch der konkrete historische Hintergrund einer Entwicklung von allergrößter Bedeutung.
Nun, erstens hat ja innerhalb der „Konzilskirche“ seit Beginn der betreffenden „Reformen“ der Glaube an den Wert und die Bedeutung des hl. Messopfers stark abgenommen bzw. man hat diesen katholischen Glauben durch eigenes aktives Handeln zugunsten der protestantischen Ansicht von der „Eucharistiefeier“ als einem geselligen Mahlgeschehen geopfert! Die sog. „neue Messe“ Pauls VI. spricht da ja Bände. Zumal ja in deren Bereich auch der Altar selbst, im eigentlichen und überlieferten Sinn des Wortes, verschwunden ist und durch einen sog. Mahltisch bzw. durch eine Showtheke ersetzt worden ist! Weder hat dies irgendetwas mit der Göttlichen Liturgie in Ost und West noch mit der Messfeier vor oder seit dem Mittelalter zu tun!
Zweitens ist sowohl der Glaube an die Realpräsenz Jesu in den Opfergaben als auch die Verehrung des Altarsakramentes an sich bei der großen Mehrheit der „Konzils“-Gläubigen im Verschwinden begriffen. Klar, wie kann man ja auch etwas verehren, woran man nicht glaubt? Auch auf diesem Gebiet weicht man also auf entscheidendste Art und Weise von der betreffenden tiefen und ergreifenden Verehrung des Altarsakramentes in der Ost- und Westkirche ab!
Drittens ist diese Umplatzierung des Tabernakels durch die „Konzilskirche“ im Kontext der historischen Tatsache der Leugnung der betreffenden Glaubensinhalte bzw. -geheimnisse durch die Protestanten als ein bewusster Schritt in ihre Richtung zu bewerten. Zumal die beiden unmittelbar zuvor genannten tragischen Begleiterscheinungen der „Reformen“ (die weit verbreitete Leugnung der Messe als einer wahren und eigentlichen Opferhandlung und die Abnahme der Verehrung des Altarsakramentes) voll in dieselbe Richtung gehen – Anbiederung an den Protestantismus! Dagegen hatten die historischen Sakramentshäuschen des christlichen Altertums oder des Mittelalters nicht das Geringste mit einer etwaigen Vorliebe für den Protestantismus zu tun!
Daher ist wohl auch die betreffende Trennung von Altar und Tabernakel als ein bewusster Schritt in Richtung der eigenen Protestantisierung anzusehen – natürlich im Namen der liberalen „Brüderlichkeit“ und des neuzeitlichen „Ökumenismus“! Wie bei vielen anderen einzelnen liturgischen „Neuerungen“ wollte man offensichtlich auch in diesem Fall allein durch die Tatsache der äußeren Veränderung des Erscheinungsbildes des Altarraumes das bisherige katholische Denken vieler Gläubigen relativieren, um dieses gesunde Glaubensempfinden dann in der Folge durch andere „Neuerungen“ weiter aufzuweichen und zu erschüttern. Denn allein schon durch den sofort in die Augen fallenden und sehr wohl markanten Umstand, dass der Tabernakel räumlich vom Altar getrennt und irgendwo an der Seite abgestellt werde, entsteht der Eindruck, dass das ganze wohl anders gesehen und bewertet werde als zuvor!
Hinzu kommt der Umstand, dass man seitens der Modernisten nicht die geringste Mühe auf sich nimmt, um die so neu errichteten Tabernakel irgendwie schön und geschmackvoll auszustatten. Was man da oft zu Gesicht bekommt, ist bisweilen (wie nicht weniges in der modernistischen „Kirchenkunst“!) von einer sogar richtig abstoßenden Wirkung auf ein gesundes katholisches Empfinden und soll somit wohl tatsächlich dazu dienen, den Glauben an die Eucharistie zu schwächen und zu zerstören statt ihn zu fördern und zu unterstützen. Dass solche neuen Tabernakeln es nicht einmal im Entferntesten mit den mittelalterlichen Sakramentshäuschen aufnehmen können, muss wohl nicht extra lang erwähnt werden.
Somit ist die eingangs erwähnte Behauptung, der vorkonziliare „Hostienkult“ sei „eine Erfindung des Konzils von Trient“, historisch ein absoluter Unsinn und offenbart die Absicht derer Urheber, den katholischen Glauben in Frage stellen zu wollen. Bezeichnenderweise offenbart die betreffende Formulierung auch den Eindruck, die betreffenden „Theologen“ würden viel mehr zum Protestantismus neigen als die vom Tridentinum feierlich verkündeten katholischen Glaubensinhalte gutzuheißen!

P. Eugen Rissling

 

Zurück Hoch Startseite